Tuesday, May 19, 2015

Entschuldigen Sie, Herr Ober, das habe ich nicht bestellt!

(Auch in Englisch verfügbar)
Vor kurzem war ich in einem gehobenen Restaurant beim Essen. Ich studierte die mehrseitige Speisekarte und wählte ein vielversprechendes Gericht aus. Als dann mein Essen serviert wurde, sah es ganz anders aus als das, was ich erwartet hatte. Ich fragte den Ober, ob das wirklich das Gericht war, das ich bestellt hatte. Er versicherte mir, dass dem so sei. Also probierte ich das Essen schließlich. Aber es schmeckte mir nicht. Als ich noch jung und schüchtern war, hätte ich mich nie getraut, etwas zu sagen, selbst wenn es sich nicht um das von mir bestellte Gericht gehandelt hätte. Aber der Gedanke daran, wie viel ich für dieses Essen ausgeben würde und welche Erwartungen ich daran hatte, brachte mich beherzt dazu, den Ober höflich zu fragen, ob ich nicht etwas anderes haben könnte. Er reagierte sehr freundlich auf meine Bitte und sagte etwas wie: „Natürlich. Das Leben ist zu kurz, um etwas zu essen, was Ihnen nicht schmeckt”. Das neue Gericht, das mir dann serviert wurde, schmeckte vorzüglich, und der Abend verlief schließlich so, wie ich es gewünscht hatte.
Ein paar Monate später wurde ich schwer enttäuscht – etwas, wofür ich mich eingesetzt und gebetet hatte, scheiterte. Nach einem tiefen Seufzer sagte ich zu mir: „Ich habe so hart gearbeitet, und das ist das Ergebnis...Ich habe das nicht bestellt. Schicken Sie’s zurück!” Ich musste schmunzeln, denn meine innere Reaktion war wohl auf meine Erfahrung in dem Restaurant zurückzuführen. Da musste ich mir selbst die Frage stellen: Wie oft habe ich meinen Himmlischen Vater wie einen Oberkellner behandelt? Wie häufig sind meine Gebete wie einer Bestellung im Restaurant? „Geben Sie mir das, und das und … weil ich besonders brav bin ... noch das. ” Und wenn sich dann meine Bitten erfüllten, und diese sich im alltäglichen Leben versteckten, lehnte ich sie ab, da sie nicht genau dem entsprachen, was ich „bestellt“ hatte. Und wenn sich meine Wünsche nicht erfüllten, stellte ich den „Service“, den ich erhielt, in Frage.
Nun mal im Ernst: Wie oft war ich enttäuscht, dass meine Gebete nicht in der Art erhört wurden, wie ich es mir vorgestellt hatte? Wie oft habe ich um Gesundheit gebetet und bin doch krank geworden? Wie oft habe ich um finanziellen Erfolg gebetet und musste doch Rückschläge einstecken? Würde ich eine Liste der Dinge erstellen, die nicht in Erfüllung gingen, wäre diese Liste lang und entmutigend. Ich bin versucht, die vielen Male aufzurechnen, bei denen ich um Brot gebeten, aber einen Stein erhalten habe oder zumindest etwas, was ich dafür hielt (siehe Matthäus 7:9). Aber was bringt mir das? Wie könnte ich so „Gott preisen, von dem all Segen fließt“? (Gesang num. 156) Und, noch wichtiger, wie wirkt sich dies auf meine Beziehung zum Vater im Himmel aus?
Eines, was ich mit den Jahren gelernt habe, ist, dass Erwartungen – oftmals unausgesprochene Wünsche an jemanden – oft das Schwierigste in zwischenmenschlichen Beziehungen sind, insbesondere, wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden. Je höher die Erwartungen, desto größer die potenzielle Enttäuschung. Ich erkannte jedoch, dass ich zu hohe Erwartungen an meinen Himmlischen Vater stellte, ohne ihn jedoch wirklich um Rat zu fragen. Ich erwartete, dass er meine Bestellungen ausführte – wie wenn er mein Oberkellner, mein Flaschengeist oder der Weihnachtsmann wäre. Ich stellte mir die Frage: weshalb, wenn ich nach seinem Abbild geschaffen wurde, ich versuchte, Gott nach meinen Vorstellungen so zurechtzuformen, wie er meiner Meinung nach sein sollte. Wenn Erwartungen zerschlagen werden und ein Unglück zur Verzweiflung führt, mache ich schnell Gott Vorwürfe dafür, dass er sich nicht an meinen Plan gehalten hat oder stelle sogar seine Existenz in Frage: „Wie könnte ein liebender Gott so etwas zulassen?“
Es sind diese Momenten größter Seelenqual, wenn ich mich verlassen und vergessen fühle, in denen ich mich an meinen Himmlischen Vater wenden kann und seine Liebe erfahre. Anstatt eine vorwurfsvolle, theoretische Frage zu stellen wie „Warum tust Du mir das an?“ kann ich mich an meinen Vater im Himmel in Demut wenden und um Weisheit und Verständnis und, am wichtigsten, um Geduld bitten. Es mag zwar sein, dass die Antwort auf sich warten lässt oder nicht in der von mir erwarteten Form kommt oder gar nicht kommt. Aber ich kann Trost und Nähe erhalten, sobald ich darum bitte. Wenn ich mich mit ihm austausche und genau hinhöre, Bescheidenheit und Dankbarkeit für den Segen zeige, der mir zuteil wird – trotz der Verluste und Kopfzerbrechen, kann ich Gott begreifen, wie er wirklich ist und nicht, wie ich ihn mir zurechtbiege. Ich habe erkannt, dass manches Negative in meinem Leben nicht so schmerzlich ist, nur weil etwas nicht so läuft, wie ich mir es gewünscht habe. Ich habe gelernt, dass manchmal etwas Negatives aufgrund meiner eigenen Entscheidungen oder jenen anderer passiert oder weil Gott mich läutert (Jesaja 48:10), oder etwas anderes vollbringt. Oder vielleicht erlebe ich einfach nur die Wirkungen des Lebens auf dieser Erde mit den Naturgesetzen, die auch zum Plan des Glücklichseins gehören, welchen ich mit Freude angenommen hatte. Ich kann Zeugnis geben davon, dass Gott auf wundersame Weise Unglück von uns fern halten kann, aber er Weise genug ist, es nicht immer zu tun. Und er wird uns nie seinen Segen zukommen lassen, indem jemand anders gezwungen ist, sich auf bestimmte Art zu verhalten und dabei dessen Wünsche ignoriert werden.
Ich habe vor kurzem etwas gelesen, was Präsident Boyd K. Packer zu diesem Thema gelehrt hat: „Solange Sie keinen weitreichenden Blick für die ewige Natur [des Plans] haben, können Sie den Ungereimtheiten des Lebens keine rechte Bedeutung abgewinnen. Da wird einer mit so wenig geboren, dort einer mit so viel. Da lebt einer in Armut, mit Behinderungen, mit Schmerzen und Leid. Dort sterben selbst unschuldige Kinder eines frühen Todes. Es gibt die brutale, erbarmungslose Gewalt der Natur und das brutale Verhalten, das ein Mensch dem anderen zufügt. Wir haben in letzter Zeit viel davon erlebt.“


„Sie dürfen nicht meinen, dass Gott das absichtlich bewirkt, was er – für seinen eigenen Zweck – zulässt. Wenn Sie den Plan und den Sinn hinter all dem kennen, wird auch durch das alles kundgetan, dass Gott ein liebevoller himmlischer Vater ist.“ (The Play and the Plan [satellite broadcast, 7 May 1995], 1–2) [emphasis added].
In den frühen Tagen der Kirche mussten viele gläubige Mitglieder schmerzliche, gewaltvolle Verfolgung erleiden – so wie viele Gläubige im Laufe der Geschichte. Als sie die weiten Ebenen nach Salt Lake Valley durchquerten, wurden viele Heiligen auf wundersame Weise verschont, während anderen großes Leid widerfahren ist oder sie ums Leben kamen. Wir sollten nicht annehmen, dass Gott manche mehr liebt und andere weniger. Wir sollten vielmehr Trost in der Tatsache finden, dass Gott jeden von uns kennt und liebt – die Haare auf dem Kopf sind sogar alle gezählt (Lukas 12:6-7). Er lässt die Geschenke jedem zukommen, die am besten zu ihm passen. So schmerzlich es auch sein mag, lernen und wachsen wir mit jeder Erfahrung. Es ist nicht das Ziel, ohne Herausforderungen oder Versuchungen durchs Leben zu gehen. Der Herr hat uns gesagt, dass wir in Bedrängnis geraten werden, aber er ermutigt uns, geduldig zu sein und hilft uns, unsere Bürde zu tragen und letztendlich zu reifen. „Sei geduldig in Bedrängnissen, denn du wirst viele haben; aber ertrage sie, denn sieh, ich bin mit dir, ja, bis ans Ende deiner Tage.“ (L&B 24:8. Siehe auch Alma 26:27-31 und Mosia 24:10-15.)
Wenn wir erkennen, dass unser Leben zwar nicht nach Plan verläuft, dass unsere Gebete nicht in der Art und zu dem Zeitpunkt erhört werden, wie von uns geplant, sollten wir dann aufhören zu bitten und nach etwas zu streben? Natürlich nicht! Der Herr fordert uns auf: „naht euch mir, und ich werde mich euch nahen; sucht mich eifrig, dann werdet ihr mich finden; bittet, und ihr werdet empfangen; klopfet an, und es wird euch aufgetan werden.“ (L&B 88:63; siehe auch Alma 34:17-27). Das Bibel-Wörterbuch von unserer Kirche enthält als Definition für Gebete den Eintrag: „Sobald wir die wahre Beziehung erkennen, die wir zu Gott haben (nämlich die zwischen Gott, unserem Vater und uns, seinen Kindern), werden unsere Gebete natürlich und instinktiv (Matthäus 7:7-11). Viele der sogenannten Schwierigkeiten, die wir mit dem Beten haben, resultieren darin, dass wir diese Beziehung vergessen. Beten ist eine Handlung, bei der der Wille des Kindes und der des Vaters miteinander in Beziehung gebracht werden. Das Ziel des Gebetes ist nicht, den Willen Gottes zu ändern, sondern uns und anderen den Segen zu sichern, den Gott bereit ist zu geben, der jedoch von unseren Bitten abhängt. Um Segen zu empfangen, müssen wir hart arbeiten und uns dafür einsetzen. Beten ist eine Form von Arbeit, und das Gebet ist ein bestimmtes Gnadenmittel, um den größten Segen zu empfangen.”
Wir sollen uns auch „voll Eifer einer guten Sache widmen und ... viel Rechtschaffenheit zustande bringen.“ (L&B 58:27-28) Indem wir für andere da sind, werden wir Werkzeuge in Gottes Hand, um ihre Gebete zu erhöhen, und wir verlieren die Selbstsucht, die uns dazu treibt, Gottes Liebe und seine Motive in Frage zu stellen. John F. Kennedy hat gesagt: „Fragen Sie nicht, was Ihr Land für Sie tun kann - fragen Sie, was Sie für Ihr Land tun können.“ Um das Zitat können wir etwas anders formulieren: „Frage nicht, was Gott für dich tun kann, sondern was du für seine Kinder tun kannst“.
Abschließen möchte ich mit einer meiner Lieblingsstellen der Heiligen Schriften, von Moroni 7, Vers 48: „Darum, meine geliebten Brüder, betet mit der ganzen Kraft des Herzens zum Vater, dass ihr von dieser Liebe erfüllt werdet, die er all denen zuteil werden lässt, die wahre Nachfolger seines Sohnes Jesus Christus sind; damit ihr Söhne Gottes werdet; damit wir, wenn er erscheinen wird, ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist; damit wir diese Hoffnung haben; damit wir drein gemacht werden, so wie er rein ist.“  
Ich verstehe nun endlich, dass ich in meinem Streben, Gott zu begreifen und mehr wie er zu werden, ich muss aufhören, Gott wie meinen Oberkellner zu behandeln, und mich nicht mehr wie das störrische, verwöhnte Kind verhalte, das nicht immer das bekommt, was es will. Sondern ich will diese Beziehung zwischen liebendem Vater und gehorsamen Kind aufbaue. Ich erkenne nun deutlicher, wie oft er mir schon seinen Segen zuteil werden lassen hat. Das bereitet mich besser auf das vor, was das Leben mir noch „auftischen“ wird.
© 2014 Curt Whittaker

2 comments:

KarenEJacobs said...

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Regards - Irena